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Einer
der schl�ssigsten Beweise f�r den Erfolg der Bildungsexpansion, die vor
etwa zwei Dutzend Jahren von Georg Picht und anderen in Gang gesetzt
worden war, ist die Zahl der deutschen Hochschulen. 237 von ihnen sind
inzwischen Mitglieder der Hochschulrektorenkonferenz, eine Menge, die
Deutschland zum hochschulreichsten Land Europas macht. Der Vorsprung
vergr��ert sich noch, wenn man den Umfang ber�cksichtigt, auf den die
gr��ten dieser Einrichtungen angeschwollen sind. Hamburg, Berlin und
M�nchen berichten stolz von ihren 40 000, 50 000 oder 60 000
eingeschriebenen Studenten. Zu diesem Stolz besteht sogar Anla�, denn
seit die Kopfzahl der Studenten zum wichtigsten Ma�stab f�r die
Zuweisung �ffentlicher Mittel geworden ist, bringt es etwas ein, gro�
zu sein. Nicht ohne Recht wiesen die aufgeschwemmten Universit�ten den
Gedanken, zu kleineren und �berschaubaren Verh�ltnissen zur�ckzukehren,
als eine statusmindernde Zumutung zur�ck.
Ernsthafte
akademische Anspr�che scheitern hier meistens schon an den �u�eren
Gegebenheiten, der schieren Gr��e also. Quantitativ erreichen
Universit�ten wie Oxford und Harvard mit ihren 14 000 oder 18 000
Studenten nach deutschen Ma�st�ben nicht einmal einen mittleren
Rangplatz; qualitativ gilt allerdings das Gegenteil, und das
wahrscheinlich nicht aus Zufall. Der Abstand zum hiesigen
Massenausbildungsbetrieb wird noch deutlicher, wenn man in Rechnung
stellt, da� diese Universit�ten nach anglo-amerikanischer Tradition
nicht mehr sind als ein Konglomerat aus vielen kleinen Einheiten, den
Colleges, an denen die eigentliche Arbeit geleistet wird. Sie bestimmen
das Klima, das an diesen Hochschulen herrscht und das sich so auff�llig
von den hiesigen Zust�nden unterscheidet. Wissenschaft, sagt Werner
Heisenberg, findet im Gespr�ch statt. Dazu aber bietet die deutsche
Universit�t, die seit f�nfzehn Jahren heillos �berlastet ist, kaum noch
Gelegenheit.
Es sollte klar
sein, da� unter den Bedingungen des Massenbetriebs
Leistungsunterschiede gar nicht ausbleiben k�nnen, Unterschiede von
Fach zu Fach, von Land zu Land, von Hochschule zu Hochschule und so
weiter. Doch diese schlichte Wahrheit vertr�gt sich nicht mit dem
Gleichheitsdogma, das den Deutschen weismacht, die Ausbildung hier sei
genausogut wie die Ausbildung dort. Nat�rlich wei� jeder, da� dem nicht
so ist, und schon bei oberfl�chlicher Kenntnis und mit geringem
methodischen Aufwand lassen sich akademische Ranglisten aufstellen, aus
denen sich ergibt, wie gro� die Differenz tats�chlich ist.
Dies anzuerkennen
w�rde aber das b�rokratische Zuteilungsverfahren, nach dem in
Deutschland Studienpl�tze ausgegeben werden, unm�glich machen oder doch
erheblich komplizieren. Und weil den Deutschen die administrative
Gleichbehandlung wichtiger erscheint als das begr�ndete, wenn auch
subjektive Urteil, hat sich der Verwaltungsstandpunkt allenthalben
durchgesetzt. Das deutsche Hochschulwesen zeigt l�ngst in allen seinen
Winkeln das Doppelmerkmal der vollendeten B�rokratie, steigende Kosten
bei sinkender Effizienz. In den traditionsreichen Zentral- und
Hauptgeb�uden der Universit�ten, dort also, wo man fr�her las und
redete und forschte, macht sich inzwischen die akademische Verwaltung
breit. Sie zeigt damit schon �u�erlich, wer an den Hochschulen das
Sagen hat.
Der Verband bleibt zusammen
Die Vorherrschaft
der B�rokraten kann freilich nicht verhindern, da� einzelne immer
wieder den Versuch machen, aus dem Geleitzug auszubrechen und sich mit
eigener Kraft an die Spitze des Verbandes zu setzen. Der j�ngste und
bisher sicherlich sympathischste Versuch dieser Art sind die
Graduiertenkollegs. Sie entstehen dort, wo sich eine Handvoll
ambitionierter Hochschullehrer mit einer gr��eren Zahl Studenten aus
h�heren Semestern zusammentun, um gemeinsam irgendeiner Frage
nachzugehen und dabei akademische Meriten zu erwerben.
Das erste Modell
dieser Art war vor Jahren von der Thyssen-Stiftung an der Universit�t
K�ln in Gang gebracht worden. Es entwickelte sich so erfolgreich, da�
es alsbald die Begehrlichkeit von anderen Hochschulen weckte.
Inzwischen sind Besitz und Betrieb eines Graduiertenkollegs zu
Statusmerkmalen geworden, die von allen Universit�ten eifrig ersehnt
werden. Mit etwa 200 Einrichtungen dieser Art d�rfte ihr Wunsch, auch
diese Neuerung fl�chendeckend einzurichten und m�glichst gleich an alle
Hochschulen zu verteilen, ann�hernd erf�llt sein.
Damit beginnen aber
auch die Schwierigkeiten. Denn wie alles Gute geraten nun auch die
Graduiertenkollegs in Gefahr, durch Serienproduktion die Chance des
Au�ergew�hnlichen zu vertun. Wenn schon Elite, dann f�r alle, scheint
die Devise zu sein, nach der das Vorhaben zu immer gewaltigeren
Dimensionen aufgeblasen wird. Die zweihundert Kollegs, die von der
Deutschen Forschungsgemeinschaft gepr�ft und gutgehei�en worden sind,
gen�gen l�ngst nicht mehr; tausend sollen es werden, durchschnittlich
vier f�r jede Hochschule, und nur, weil diese gewaltige Zahl nicht
finanzierbar war, einigten sich die Planer einstweilen auf eine
Kompromi�zahl von sechshundert. Ob es f�r diese Anzahl gen�gend
qualifizierte Dozenten und Studenten gibt; wo diese Kollegs
sinnvollerweise angesiedelt werden sollen; welche Konsequenzen sich f�r
den Ablauf von Lehre und Studium aus einem so gravierenden Umbau der
Universit�tslandschaft ergeben k�nnten: dar�ber wurde nicht lange
gesprochen. Planer begeistern sich eben nicht f�r Inhalte, sondern
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f�r Zahlen, und sie tun das um so hemmungsloser, je gr��er diese Zahlen sind.
Die Bereitschaft,
mit der die Beg�nstigten, die Hochschulen selbst also, auf das neue
Programm eingegangen sind, hat andere, handfestere Gr�nde. Seit langem
werden die Universit�ten von ihren Finanziers, den Bundesl�ndern, so
knapp gehalten, da� sie fast instinktiv jede Gelegenheit nutzen, sich
zus�tzliche Geldquellen zu erschlie�en. Weil die Graduiertenkollegs
eine M�glichkeit bieten, die karge Grundausstattung durch Drittmittel
zu verbessern und damit ein wenig von dem zu retten, was fr�her einmal
als das Privileg der freien Wissenschaft galt, waren sie
hochwillkommen. Kein Wunder, da� die Universit�ten zugriffen und jede
nahm, was sie bekommen konnte.
Chancen f�r die Einzelg�nger
Reizvoll sind die
Graduiertenkollegs aber auch f�r die L�nder. Denn mit diesem Programm
beteiligt sich der Bund, wie bei Gemeinschaftsaufgaben �blich, an einem
Unternehmen, das bisher ausschlie�lich bei den L�ndern lag und deshalb
auch nur sie belastete. Einige Bundesl�nder haben diese
Mischfinanzierung zum Anla� genommen, mit der einen Hand das wieder
einzusammeln, was sie mit der anderen gegeben hatten. Sie verrechneten
ihren Beitrag zu den Graduiertenkollegs mit dem, was sie bisher f�r die
individuelle F�rderung der Graduierten ausgegeben hatte, entzogen also
den Einzelpersonen, was sie der Institution zugute kommen lie�en.
Das ist nicht nur
eine kurzsichtige, sondern auch eine gef�hrliche Strategie. Denn die
institutionelle F�rderung im Rahmen eine Kollegs kann individuelle
Hilfen immer nur erg�nzen, nie ersetzen. Programm und Aufbau der
Kollegs orientieren sich am Vorbild der in den Naturwissenschaften
g�ngigen und dort auch unentbehrlichen Teamforschung. Die
Geisteswissenschaften haben aber eine andere Tradition und andere
Bed�rfnisse. Hier spielt der unbequeme Einzelg�nger, der kein
ausgekl�geltes Projekt verfolgt, sondern zun�chst einmal neugierig ist
und am Ende seiner Streifz�ge eine ganz andere Beute nach Hause bringt,
als alle Welt von ihm erwartet hatte, noch immer eine wichtige Rolle.
Um das auch weiter tun zu k�nnen, braucht man nicht unbedingt
Graduiertenkollegs, sondern praktizierte Hochschulautonomie und einen
verst�ndnisvollen, gro�z�gigen Lehrer.
Sollten die Kollegs
in dem geplanten Umfang ausgebaut werden und eines Tages vielleicht zur
dominierenden Form der gehobenen wissenschaftlichen Ausbildung werden,
dann d�rfte sich der Stil des Forschungsbetriebs mit einiger
Wahrscheinlichkeit �ndern. Der Abenteurer, der es mit ausgefallenen
Methoden versucht und auf riskante Fragen ungewohnte Antworten gibt,
wird es schwerer habe als der Perfektionist, der Aufwand, Laufzeit und
Personalbedarf seiner Projekte im voraus berechnen kann und schon beim
Beginn seiner Arbeiten wei�, was am Ende dabei herauskommen soll.
Die Wissenschaft
wird noch mehr, als das ohnehin schon der Fall ist, den Charakter des
Spekulativen verlieren und zu einer gehobenen Planungst�tigkeit werden,
in der ein Dienst nach Vorschrift als besondere Tugend gilt. Pr�miert
wird dann nicht mehr der Au�enseiter, sondern der Forschungsmanager,
der den Zugang zu den Fleischt�pfen der Subventionsgeber kennt und
seine Projekte so zeitgeistgerecht formulieren kann, da� ihre Billigung
so gut wie sicher ist.
So, wie die Dinge
laufen, sind die Graduiertenkollegs auf dem Wege, den Charme des
Au�ergew�hnlichen zu verlieren und in dieselbe Forschungs- und
Lehrroutine einzum�nden, die der deutschen Universit�t insgesamt zum
Verh�ngnis geworden ist. Der Widerspruch, der darin liegt, die "Centers
of Excellence", wie sich die neuen Institutionen nennen, zu Hunderten
zu gr�nden und gleichm��ig �ber das Land zu verteilen, ist
offensichtlich, wird aber vielfach gar nicht mehr bemerkt.
Tats�chlich scheint
das neue Glanzlicht tr�be zu werden, schon bevor es seinen h�chsten
Stand erreicht hat. Um sich weitere Sondermittel zu verschaffen, denken
die von Geldsorgen gebeutelten Hochschulen jedenfalls schon jetzt an
die n�chste Sondereinrichtung; diesmal soll sie Forschungskolleg
hei�en. Alle diese Hilfskonstruktionen sind dazu bestimmt, in
Teilbereichen das zu leisten, was urspr�nglich einmal Aufgabe der
gesamten Universit�t gewesen ist, die Ausbildung einer intellektuellen
Leistungselite im Medium der Wissenschaften.
Auch Ungerechte schlafen gut
Wenn die
Graduierten- und Forschungskollegs demselben Gesetz der
Gleichbehandlung und, damit eng verbunden, denselben Regeln der
Massenabfertigung unterworfen werden, an denen die Hochschule als
Ganzes laboriert, wird ihnen auch das gleiche Schicksal bl�hen. Wer das
vermeiden will, mu� Unterschiede machen und dem einen ganz bewu�t das
geben, was er den anderen ebenso bewu�t vorenth�lt. Hans-Joachim
Queisser, einer der nicht allzu vielen deutschen Forscher, die
international einen Namen haben, hat k�rzlich geschrieben, da� er von
Schlaflosigkeit gepeinigt werde, wenn er an die Zukunftsaussichten des
wissenschaftlichen Nachwuchses in Deutschland denke. Diese
Empfindsamkeit unterscheidet ihn von denen, die f�r Forschung, Bildung
und Wissenschaft verantwortlich sind. Die meisten von ihnen schlafen
tief und offensichtlich gut, denn f�r die Folgen ihrer heutigen Fehler
werden nicht mehr sie selbst einstehen m�ssen, sondern die n�chste
Generation.
KONRAD ADAM
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