vL. STOCKHOLM, 26. Oktober. Die norwegischen Behörden haben den Eignern von zwei vor Spitzbergen festgehaltenen russischen Fischereischiffen am Mittwoch ein Bußgeld von 2,1 Millionen Kronen (etwa 270 000 Euro) auferlegt. Die beiden russischen Schiffe waren am Samstag zum Ankern vor der Insel gezwungen worden, weil sie nach Meinung der norwegischen Küstenwacht ohne Genehmigung Fisch umgeladen hatten. Die russische Regierung protestierte am Mittwoch gegen die Bestrafung, die sie als "maßlos" bezeichnete. Damit haben Norwegen und Rußland unmittelbar vor dem Beginn von Fischereiverhandlungen den Nervenkrieg fortgesetzt, in dem vergangene Woche zwei norwegische Fischereiinspekteure auf russischen Kuttern nach Rußland entführt worden sind. Die beiden Männer, die erst nach einigen Tagen wieder freigelassen wurden, waren an Bord der russischen Schiffe gegangen, weil diese ihrer Ansicht nach illegal vor Spitzbergen fischten. Norwegen wirft den russischen Booten vor, die Fischereischutzzone um die Inselgruppe Spitzbergen zu verletzen und verbotene Fangmethoden zu nutzen. Rußland erkennt die von Norwegen beanspruchte Schutzzone nicht an.
Nordnorwegen und die angrenzenden Gewässer sind eine Quelle beständigen politischen und wirtschaftlichen Streits zwischen Oslo und Moskau, wiewohl die früher erhebliche strategische Bedeutung Nordnorwegens, die es auch für die Nato hatte, seit dem Ende des Kalten Krieges geschwunden ist. Jetzt geht es vor allem um Wirtschaftsinteressen - um reiche Fischgründe und vor allem um Öl und Erdgas. Östlich des Nordkaps gibt es eine große "graue Zone", in der die Seegrenze zwischen Rußland und Norwegen strittig ist. Jahrzehntelange Verhandlungen über eine Grenzziehung sind bisher erfolglos geblieben.
Der Konflikt kommt nicht nur kurz vor neuen Fischereiverhandlungen zwischen Moskau und Oslo, sondern auch kurz vor der russischen Entscheidung darüber, welche ausländischen Partner an der Ausbeutung eines riesigen Erdgasfeldes in der Barentsee beteiligt werden sollen. Dabei sind die beiden norwegischen Konzerne Statoil und Norsk Hydro, an denen der Staat große Anteile hält, unter den vier Unternehmen in der Endauswahl. Das mag die zwar klare, aber insgesamt zurückhaltende norwegische Reaktion erklären: Die Küstenwache hatte den Kutter, der vergangene Woche die beiden norwegischen Beamten entführte, zwar verfolgt, aber darauf verzichtet, ihn zu beschießen oder zu entern. In der Öffentlichkeit war das mit "schlechtem Wetter" begründet worden. Zudem hat gerade eine sozialdemokratisch-linke Regierung in Oslo die bürgerliche Minderheitsregierung abgelöst und wollte einen internationalen Konflikt wenige Tage nach ihrem Amtsantritt wohl vermeiden - obwohl der neue Außenminister Støre als einen der beiden Schwerpunkte seiner Arbeit neben Europa den hohen Norden nannte, der für Norwegens Außen-, Innen- und Wirtschaftspolitik stets eine hervorgehobene Rolle spielte.
Sprecher der norwegische Küstenwache und des Fischereidirektorates sagen, es sei "extrem schwierig", mit russischen Behörden beim Schutz der wegen Fischlaichgründen und Überfischung empfindlichen Region zusammenzuarbeiten. Rußland halte sich nicht an vertragliche Zusagen.
Neben den Konflikten in der Barentsee um Grenzen, Atommüll, Erdgas und Fischerei ist die Inselgruppe der Spitzbergen, wo der aktuelle Zwist begann, eine zweite Quelle des Streits. Spätestens seit dem Vertrag von Spitzbergen (Svalbard-Vertrag) von 1920 und einer Erklärung des norwegischen Königs von 1925 sieht Norwegen die Inselgruppe als souveränes norwegisches Gebiet und Teil des Königreiches an. Dabei kommen gelegentlich der besondere Natur- und Umweltschutz in Konflikt mit Regeln, die allen inzwischen 42 Vertragsstaaten Gleichbehandlung zusichern, auch bei der Ausbeutung von Bodenschätzen. Das nutzt Rußland, indem es dort eine wirtschaftlich nicht ertragreiche Kohlegrube betreibt, um Präsenz zu zeigen und Einfluß zu behalten.