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Zitat aus der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, 11. 9.93:


Vorsprung f�r alle?
Graduiertenkollegs laborieren an ihrem �berm��igen Erfolg



Einer der schl�ssigsten Beweise f�r den Erfolg der Bildungsexpansion, die vor etwa zwei Dutzend Jahren von Georg Picht und anderen in Gang gesetzt worden war, ist die Zahl der deutschen Hochschulen. 237 von ihnen sind inzwischen Mitglieder der Hochschulrektorenkonferenz, eine Menge, die Deutschland zum hochschulreichsten Land Europas macht. Der Vorsprung vergr��ert sich noch, wenn man den Umfang ber�cksichtigt, auf den die gr��ten dieser Einrichtungen angeschwollen sind. Hamburg, Berlin und M�nchen berichten stolz von ihren 40 000, 50 000 oder 60 000 eingeschriebenen Studenten. Zu diesem Stolz besteht sogar Anla�, denn seit die Kopfzahl der Studenten zum wichtigsten Ma�stab f�r die Zuweisung �ffentlicher Mittel geworden ist, bringt es etwas ein, gro� zu sein. Nicht ohne Recht wiesen die aufgeschwemmten Universit�ten den Gedanken, zu kleineren und �berschaubaren Verh�ltnissen zur�ckzukehren, als eine statusmindernde Zumutung zur�ck.

Ernsthafte akademische Anspr�che scheitern hier meistens schon an den �u�eren Gegebenheiten, der schieren Gr��e also. Quantitativ erreichen Universit�ten wie Oxford und Harvard mit ihren 14 000 oder 18 000 Studenten nach deutschen Ma�st�ben nicht einmal einen mittleren Rangplatz; qualitativ gilt allerdings das Gegenteil, und das wahrscheinlich nicht aus Zufall. Der Abstand zum hiesigen Massenausbildungsbetrieb wird noch deutlicher, wenn man in Rechnung stellt, da� diese Universit�ten nach anglo-amerikanischer Tradition nicht mehr sind als ein Konglomerat aus vielen kleinen Einheiten, den Colleges, an denen die eigentliche Arbeit geleistet wird. Sie bestimmen das Klima, das an diesen Hochschulen herrscht und das sich so auff�llig von den hiesigen Zust�nden unterscheidet. Wissenschaft, sagt Werner Heisenberg, findet im Gespr�ch statt. Dazu aber bietet die deutsche Universit�t, die seit f�nfzehn Jahren heillos �berlastet ist, kaum noch Gelegenheit.

Es sollte klar sein, da� unter den Bedingungen des Massenbetriebs Leistungsunterschiede gar nicht ausbleiben k�nnen, Unterschiede von Fach zu Fach, von Land zu Land, von Hochschule zu Hochschule und so weiter. Doch diese schlichte Wahrheit vertr�gt sich nicht mit dem Gleichheitsdogma, das den Deutschen weismacht, die Ausbildung hier sei genausogut wie die Ausbildung dort. Nat�rlich wei� jeder, da� dem nicht so ist, und schon bei oberfl�chlicher Kenntnis und mit geringem methodischen Aufwand lassen sich akademische Ranglisten aufstellen, aus denen sich ergibt, wie gro� die Differenz tats�chlich ist.

Dies anzuerkennen w�rde aber das b�rokratische Zuteilungsverfahren, nach dem in Deutschland Studienpl�tze ausgegeben werden, unm�glich machen oder doch erheblich komplizieren. Und weil den Deutschen die administrative Gleichbehandlung wichtiger erscheint als das begr�ndete, wenn auch subjektive Urteil, hat sich der Verwaltungsstandpunkt allenthalben durchgesetzt. Das deutsche Hochschulwesen zeigt l�ngst in allen seinen Winkeln das Doppelmerkmal der vollendeten B�rokratie, steigende Kosten bei sinkender Effizienz. In den traditionsreichen Zentral- und Hauptgeb�uden der Universit�ten, dort also, wo man fr�her las und redete und forschte, macht sich inzwischen die akademische Verwaltung breit. Sie zeigt damit schon �u�erlich, wer an den Hochschulen das Sagen hat.

Der Verband bleibt zusammen

Die Vorherrschaft der B�rokraten kann freilich nicht verhindern, da� einzelne immer wieder den Versuch machen, aus dem Geleitzug auszubrechen und sich mit eigener Kraft an die Spitze des Verbandes zu setzen. Der j�ngste und bisher sicherlich sympathischste Versuch dieser Art sind die Graduiertenkollegs. Sie entstehen dort, wo sich eine Handvoll ambitionierter Hochschullehrer mit einer gr��eren Zahl Studenten aus h�heren Semestern zusammentun, um gemeinsam irgendeiner Frage nachzugehen und dabei akademische Meriten zu erwerben.

Das erste Modell dieser Art war vor Jahren von der Thyssen-Stiftung an der Universit�t K�ln in Gang gebracht worden. Es entwickelte sich so erfolgreich, da� es alsbald die Begehrlichkeit von anderen Hochschulen weckte. Inzwischen sind Besitz und Betrieb eines Graduiertenkollegs zu Statusmerkmalen geworden, die von allen Universit�ten eifrig ersehnt werden. Mit etwa 200 Einrichtungen dieser Art d�rfte ihr Wunsch, auch diese Neuerung fl�chendeckend einzurichten und m�glichst gleich an alle Hochschulen zu verteilen, ann�hernd erf�llt sein.

Damit beginnen aber auch die Schwierigkeiten. Denn wie alles Gute geraten nun auch die Graduiertenkollegs in Gefahr, durch Serienproduktion die Chance des Au�ergew�hnlichen zu vertun. Wenn schon Elite, dann f�r alle, scheint die Devise zu sein, nach der das Vorhaben zu immer gewaltigeren Dimensionen aufgeblasen wird. Die zweihundert Kollegs, die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gepr�ft und gutgehei�en worden sind, gen�gen l�ngst nicht mehr; tausend sollen es werden, durchschnittlich vier f�r jede Hochschule, und nur, weil diese gewaltige Zahl nicht finanzierbar war, einigten sich die Planer einstweilen auf eine Kompromi�zahl von sechshundert. Ob es f�r diese Anzahl gen�gend qualifizierte Dozenten und Studenten gibt; wo diese Kollegs sinnvollerweise angesiedelt werden sollen; welche Konsequenzen sich f�r den Ablauf von Lehre und Studium aus einem so gravierenden Umbau der Universit�tslandschaft ergeben k�nnten: dar�ber wurde nicht lange gesprochen. Planer begeistern sich eben nicht f�r Inhalte, sondern


f�r Zahlen, und sie tun das um so hemmungsloser, je gr��er diese Zahlen sind.

Die Bereitschaft, mit der die Beg�nstigten, die Hochschulen selbst also, auf das neue Programm eingegangen sind, hat andere, handfestere Gr�nde. Seit langem werden die Universit�ten von ihren Finanziers, den Bundesl�ndern, so knapp gehalten, da� sie fast instinktiv jede Gelegenheit nutzen, sich zus�tzliche Geldquellen zu erschlie�en. Weil die Graduiertenkollegs eine M�glichkeit bieten, die karge Grundausstattung durch Drittmittel zu verbessern und damit ein wenig von dem zu retten, was fr�her einmal als das Privileg der freien Wissenschaft galt, waren sie hochwillkommen. Kein Wunder, da� die Universit�ten zugriffen und jede nahm, was sie bekommen konnte.

Chancen f�r die Einzelg�nger

Reizvoll sind die Graduiertenkollegs aber auch f�r die L�nder. Denn mit diesem Programm beteiligt sich der Bund, wie bei Gemeinschaftsaufgaben �blich, an einem Unternehmen, das bisher ausschlie�lich bei den L�ndern lag und deshalb auch nur sie belastete. Einige Bundesl�nder haben diese Mischfinanzierung zum Anla� genommen, mit der einen Hand das wieder einzusammeln, was sie mit der anderen gegeben hatten. Sie verrechneten ihren Beitrag zu den Graduiertenkollegs mit dem, was sie bisher f�r die individuelle F�rderung der Graduierten ausgegeben hatte, entzogen also den Einzelpersonen, was sie der Institution zugute kommen lie�en.

Das ist nicht nur eine kurzsichtige, sondern auch eine gef�hrliche Strategie. Denn die institutionelle F�rderung im Rahmen eine Kollegs kann individuelle Hilfen immer nur erg�nzen, nie ersetzen. Programm und Aufbau der Kollegs orientieren sich am Vorbild der in den Naturwissenschaften g�ngigen und dort auch unentbehrlichen Teamforschung. Die Geisteswissenschaften haben aber eine andere Tradition und andere Bed�rfnisse. Hier spielt der unbequeme Einzelg�nger, der kein ausgekl�geltes Projekt verfolgt, sondern zun�chst einmal neugierig ist und am Ende seiner Streifz�ge eine ganz andere Beute nach Hause bringt, als alle Welt von ihm erwartet hatte, noch immer eine wichtige Rolle. Um das auch weiter tun zu k�nnen, braucht man nicht unbedingt Graduiertenkollegs, sondern praktizierte Hochschulautonomie und einen verst�ndnisvollen, gro�z�gigen Lehrer.

Sollten die Kollegs in dem geplanten Umfang ausgebaut werden und eines Tages vielleicht zur dominierenden Form der gehobenen wissenschaftlichen Ausbildung werden, dann d�rfte sich der Stil des Forschungsbetriebs mit einiger Wahrscheinlichkeit �ndern. Der Abenteurer, der es mit ausgefallenen Methoden versucht und auf riskante Fragen ungewohnte Antworten gibt, wird es schwerer habe als der Perfektionist, der Aufwand, Laufzeit und Personalbedarf seiner Projekte im voraus berechnen kann und schon beim Beginn seiner Arbeiten wei�, was am Ende dabei herauskommen soll.

Die Wissenschaft wird noch mehr, als das ohnehin schon der Fall ist, den Charakter des Spekulativen verlieren und zu einer gehobenen Planungst�tigkeit werden, in der ein Dienst nach Vorschrift als besondere Tugend gilt. Pr�miert wird dann nicht mehr der Au�enseiter, sondern der Forschungsmanager, der den Zugang zu den Fleischt�pfen der Subventionsgeber kennt und seine Projekte so zeitgeistgerecht formulieren kann, da� ihre Billigung so gut wie sicher ist.

So, wie die Dinge laufen, sind die Graduiertenkollegs auf dem Wege, den Charme des Au�ergew�hnlichen zu verlieren und in dieselbe Forschungs- und Lehrroutine einzum�nden, die der deutschen Universit�t insgesamt zum Verh�ngnis geworden ist. Der Widerspruch, der darin liegt, die "Centers of Excellence", wie sich die neuen Institutionen nennen, zu Hunderten zu gr�nden und gleichm��ig �ber das Land zu verteilen, ist offensichtlich, wird aber vielfach gar nicht mehr bemerkt.

Tats�chlich scheint das neue Glanzlicht tr�be zu werden, schon bevor es seinen h�chsten Stand erreicht hat. Um sich weitere Sondermittel zu verschaffen, denken die von Geldsorgen gebeutelten Hochschulen jedenfalls schon jetzt an die n�chste Sondereinrichtung; diesmal soll sie Forschungskolleg hei�en. Alle diese Hilfskonstruktionen sind dazu bestimmt, in Teilbereichen das zu leisten, was urspr�nglich einmal Aufgabe der gesamten Universit�t gewesen ist, die Ausbildung einer intellektuellen Leistungselite im Medium der Wissenschaften.

Auch Ungerechte schlafen gut

Wenn die Graduierten- und Forschungskollegs demselben Gesetz der Gleichbehandlung und, damit eng verbunden, denselben Regeln der Massenabfertigung unterworfen werden, an denen die Hochschule als Ganzes laboriert, wird ihnen auch das gleiche Schicksal bl�hen. Wer das vermeiden will, mu� Unterschiede machen und dem einen ganz bewu�t das geben, was er den anderen ebenso bewu�t vorenth�lt. Hans-Joachim Queisser, einer der nicht allzu vielen deutschen Forscher, die international einen Namen haben, hat k�rzlich geschrieben, da� er von Schlaflosigkeit gepeinigt werde, wenn er an die Zukunftsaussichten des wissenschaftlichen Nachwuchses in Deutschland denke. Diese Empfindsamkeit unterscheidet ihn von denen, die f�r Forschung, Bildung und Wissenschaft verantwortlich sind. Die meisten von ihnen schlafen tief und offensichtlich gut, denn f�r die Folgen ihrer heutigen Fehler werden nicht mehr sie selbst einstehen m�ssen, sondern die n�chste Generation.

KONRAD ADAM


 
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