Europas Fischer zerstören Artenvielfalt


Zitat aus Frankfurter Allgemeine Zeitung, 27. Dezember 2002, S.12:

Fischereiwirtschaft verschlingt ihre Zukunft

Aber EU-Kommissar Fischler spricht von einem historischen Erfolg/ Von Hajo Friedrich

BRÜSSEL, 26. Dezember
"Es ist so leicht, sich das Leben schwerzumachen" heißt das Buch von Robert Hughes über das Angeln und das Fliegenfischen. Fischen mit Angelruten hat kaum Auswirkungen auf die Bestände, doch beim industriellen Fischfang wird die Meeresfauna in einem Maß ausgebeutet, das noch vor wenigen Generationen unvorstellbar war: "Wir sind Teil eines überaus komplexen Seinsgewebes, dessen Integrität wir als Individuen wie als Spezies immer nur auf eigene Gefahr verletzen können", schreibt der Australier.

Doch nur wenige der für Fischerei zuständigen Minister und Staatssekretäre der 15 EU-Mitgliedstaaten dürften empfänglich sein für die Botschaften des renommierten Kunstkritikers - wie zum Beispiel seiner fast schon philosophischen Erfahrung des Fischens, die darin besteht, "eine Schnur ins Unbekannte hinabzulassen: was immer anbeißt, hat etwas von einer Offenbarung". Das, was die EU-Politiker kurz vor Weihnachten in Brüssel während ihres fünftägigen Sitzungsmarathons boten, glich eher einem Offenbarungseid.

Gegen die Stimmen von Deutschland und Schweden beschlossen die EU-Regierungen zwar eine Neuausrichtung der Fischereipolitik. Kabeljaufischer sollen nur noch zehn Tage im Monat ausfahren und nur noch gut die Hälfte der bisherigen Menge dieses ohnehin schon bedrohten Speisefischs fangen dürfen. Im Juli 2003 soll ein langfristiger Kabeljau-Plan inkraft treten. Fischer erhalten Ausgleichszahlungen aus dem EU-Haushalt und den jeweiligen nationalen Etats. Die bislang gewährten Beihilfen für die Erneuerung der Flotte sollen bis 2004 abgeschafft werden. Viele bezweifeln, daß das ausreicht und daß die Einhaltung der Bestimmungen kontrolliert werden kann.

Seit Jahren sind die Mißstände bekannt: Viel zu viele Schiffe machen mit immer ausgeklügelteren Techniken Jagd auf immer weniger Fische. Die EU und die Länder unterstützen dies mit mehr als einer Milliarde Euro Steuergeldern jedes Jahr. Es trägt nebenbei auch noch zum Abschlachten vieler anderer Tiere und zur Zerstörung der Umwelt bei. Selbst vor Marokko, der westafrikanischen Küste und in anderen Gewässern außerhalb der EU beuten spanische und andere EU-Flotten die Fischgründe aus.

In einem umfangreichen "Grünbuch" attestierte die EU-Kommission vor knapp zwei Jahren den Mitgliedstaaten und im Grunde auch sich selbst das Scheitern der gemeinsamen Politik und die Unfähigkeit zum "Wechsel zur nachhaltigen Nutzung der Fischereiressourcen". Nicht nur die Fischereiwirtschaft der Gemeinschaft steckt in der Krise. Doch auf internationaler Ebene ist es noch schwieriger als im Kreis der 15 und demnächst 25 EU-Länder, einen Kurswechsel zu vereinbaren.

Damit einige Fischer überleben können, müssen viele aufgeben, heißt es in Brüssel. Dagegen wehren sich die Fischer von Spanien bis Schottland. Ihre Regierungen scheuen sich, ihren Wählern die Wahrheit zu sagen. Sie bezweifeln die Aussagen von Wissenschaftlern, wonach zum Beispiel mehr als ein Drittel aller Fischarten gefährdet sind oder unmittelbar vor der Ausrottung stehen.

So war es kein Wunder, daß sich die meisten Fischereiminister auch jetzt wieder nur stritten: um möglichst viele Fangquoten und Zuschüsse aus der Gemeinschaftskasse. Statt der seit Jahren von der Europäischen Kommission und Umweltverbänden geforderten Kursänderung in der gemeinsamen Fischereipolitik kam im Ministerrat nach Ansicht deutscher Politiker aller Parteien und der europäischen Naturschützer nur ein Reförmchen heraus.

Greenpeace nannte die Einigung ein Desaster. Es sei zu befürchten, daß es zum Beispiel in der Nordsee in absehbarer Zeit keinen Kabeljau mehr geben werde. Der deutsche Bundesverband für Fischindustrie und Fischgroßhandel dagegen sagt, die Verbraucher könnten dann auf norwegischen oder russischen Kabeljau umsteigen.

Da Deutschland im Vergleich zu Spanien oder Irland nur einen geringen Teil an der EU-Fischereiflotte ausmacht, fällt es deutschen Politikern leichter, hier für Nachhaltigkeit einzutreten. EU-Fischereikommissar Franz Fischler konnte sich mit seinen Forderungen nach mehr Rücksicht auf die gefährdeten Fischbestände und einem zügigeren Abbau der Beihilfen nicht durchsetzen. Umso verwunderlicher, daß der Östereicher den Kompromiß zur Neuausrichtung der EU-Fischereipolitik dennoch als großen Erfolg darstellte. "Nie zuvor in der Geschichte der deutschen Fischereipolitik ist es gelungen, eine so markante Trendwende zu vollziehen", sagte Fischler. Daraus spricht die Erleichterung, daß es überhaupt zu einer Einigung kam. Denn nie zuvor ist ein Kommissar für seine Vorschläge so von den EU-Mitgliedern gescholten worden. Der lange Arm der Regierung in Madrid reichte so weit, daß der für die Reform kämpfende Leiter der Fischereiabteilung, der Däne Steffen Smidt, von seinem Posten entfernt wurde. Bundesministerin Künast forderte vergeblich umfassende Fangverbote - vor allem für den in der Nordsee vor dem Aussterben stehenden Kabeljau. "Die Freundschaft für die Fischerei erweist sich darin, daß sie auch noch in einigen Jahren möglich ist", sagte sie in Anspielung auf die "Freunde der Fischerei", zu denen sich Frankreich, Spanien, Portugal, Griechenland, Italien, Irland und Großbritannien ernannt hatten, die die Fangquoten weniger kürzen und die Fördermittel weiter fließen lassen wollten.

Die Umweltverbände sind enttäuscht von der Entscheidung der Minister. Sie hatten zum Beispiel gefordert, so schnell wie möglich den sogenannten Beifang zu vermindern - durch unabhängige Beobachter an Bord der Fischerboote, den obligatorischen Einsatz von nachweislich den Beifang reduzierendem Fanggerät, wie akustisch reflektierenden Netzen, oder die ganzjährige oder zeitweilige Schließung bestimmter Fanggebiete sowie ein Verbot von Gespanntrawlern. Doch konnten diese Forderungen bislang nicht durchgesetzt werden, kritisiert zum Beispiel die 1991 von dem Weltumsegler und Dokumentarfilmer Rollo Gebhard gegründete Gesellschaft zur Rettung der Delphine (GRD).

Es gibt aber auch Positives. Bewährt hat sich nach Einschätzung deutscher Tierschützer zum Beispiel das seit 1993 in Deutschland angewendete Thunfisch-Kontrollprogramm, bei dem sich Fischer und Händler verpflichten, keinen mit Treibnetzen oder durch Umkreisen von Delphinen gefangenen Thunfisch anzubieten. Mittlerweile gälten über 95 Prozent der in Deutschland angebotenen Thunfischprodukte als "delphinsicher", so die GRD.


Näheres zum Thema: Spanien gegen niedrigere Fangquoten

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