von Kerstin Decker
Heute ist der letzte Tag des Volksbegehrens gegen die Rechtschreibreform in Berlin. Sie ist wohl gescheitert. 240 000 Stimmen wären nötig gewesen. 100 000, schätzt man, sind es wohl geworden. Vielleicht ein paar mehr. Das genaue Ergebnis wird in einem Monat bekannt sein. [...]
[...] Die nächsten Volksbegehren werden gerade in Bremen und Mecklenburg-Vorpommern vorbereitet. Dort darf man - wie überall, außer in Berlin - einfach auf der Straße unterschreiben, auch ohne Personalausweis. Berlin dagegen zelebrierte das Volksbegehren wie eine richtige Wahl. Eine Wahl neuen Typs. Eine, die auf den Nichtwähler setzt. Man muß ihm das Nichtwählen bloß leichter machen: Keine Wahlbenachrichtigung! Wenig Wahllokale! Keine Wahlurnen! Beim Volksbegehren in Niedersachsen sollen 400 000 Unterschriften "verschwunden" oder nicht anerkannt worden sein. In Berlin nahm man sich gleich zu Beginn rechtlichen Beistand und klagte gegen die Bedingungen des Volksbegehrens. Das Berliner Verfassungsgericht erachtete sich für nicht zuständig, bedeutete aber, daß eine Klage "hinterher" aussichtsreich sein könnte.
Also wird man jetzt klagen. [...]
Am 17. September 1999 hat der Landtag von Schleswig-Holstein diesen Volksentscheid formell rückgängig gemacht.
Kiel (US) Die Vertrauensleute der Volksinitiative "Wir gegen die Rechtschreibreform" wollen eine zusätzliche Verfassungsbeschwerde gegen die Aufhebung des Volksentscheids und die Wiedereinführung der neuen Rechtschreibung an den schleswig-holsteinischen Schulen erreichen.
Damit erhält ein betroffener Kieler Vater, der bereits
eine Klage und einstweilige Verfügung in Karlsruhe angekündigt hat, vom
Gremium der Vertrauensleute Schützenhilfe. "Wir handeln stellvertretend
für 880 000 Menschen, die beim Volksentscheid am 27. September gegen
die Rechtschreibreform gestimmt haben", sagte der Sprecher der
Initiative, Matthias Dräger. Zugleich forderte er Kultusministerin Ute
Erdsiek-Rave (SPD) auf, bis zur Klärung des Rechtsstreits die
Neuschreibung nicht einzuführen. Die Ministerin lehnt dies ab. Die
Aufhebung des Volksentscheids durch den Landtag habe Gesetzeskraft. Die
Neuschreibung werde am 1. November an dern Schulen verbindlich.
Mit großer Zustimmung habe ich die sprachkritischen Ausführungen von Klaus Natorp im Beitrag "Alles auf den Prüfstand" (F.A.Z., "Bilder und Zeiten" vom 6. November) gelesen. An den genannten Sprachsünden nehme auch ich immer wieder Anstoß. Vor allem haben mich Natorps Bemerkungen über den Zusammenhang von Sprechen und Denken beeindruckt. [...]
Der Nachlässigkeit im Reden und Schreiben wird durch die neue Schreibregelung, die uns aufgezwungen werden soll, Vorschub geleistet. Man hat Differenzierungsmöglichkeiten beseitigt und damit einen Verlust an sprachlicher Genauigkeit inkaufgenommen, zum Beispiel indem man die Unterscheidung von substantivischem und adverbialem Gebrauch durch Groß- und Kleinschreibung oder die Unterscheidung von wörtlichem und übertragenem Wortgebrauch durch Getrennt- oder Zusammenschreibung beseitigte. Manchmal läßt allerdings die neue Schreibweise ungewollt eine tiefere Wahrheit durchschimmern. So war neulich in der F.A.Z. von "viel versprechenden Politikern" die Rede. Sollten Politiker vielversprechend sein, wenn sie viel versprechen?
Professor Dr. Wolfgang Röd, Innsbruck
In Deutschland weiß keiner mehr, wie man richtig schreibt, und schuld daran ist die Kultusministerkonferenz. Was in der Schule gelehrt wird, entspricht nicht mehr der deutschen Schriftsprache. Die Schüler werden für Irrtümer bestraft, die es im Leben nicht gibt. In einem einzigen Brief, auf nur einer gedruckten Seite begegnet man der alten, der neuen und unzähligen privaten Rechtschreibungen. Zieht man ein Wörterbuch zu Rate, hängt alles davon ab, welche Ausgabe aus welchem Jahr gerade griffbereit ist. Seit der Reform der Orthographie gibt es keine zwei Wörterbücher mehr, die miteinander identisch wären. Eine jede Revision bringt eine Vielzahl von neuen Varianten unter das Volk. Vor drei Jahren noch hatte sich niemand über die deutsche Rechtschreibung den Kopf zerbrechen müssen. Seitdem liegt sie in den Händen einer Gruppe von anmaßenden Dilettanten, die ein jedes Scheitern zum Anlaß nehmen, uns tiefer in die verwirrung zu stürzen. Die meisten Verlage haben die alte Rechtschreibung beibehalten, verwenden in ihren Schulbüchern aber eine neue. Große Zeitungen und Zeitschriften, schließlich auch die Nachrichtenagenturen benutzen eigene Orthographien.
[...]
Verantwortlich für dieses heillose Durcheinander sind die Mitglieder der Kultusministerkonferenz. [...] Drei der zur Zeit der "amtlichen Neuregelung" amtierenden Kultusminister - Gerd Wernstedt aus Niedersachsen, der damalige Präsident der Kultusministerkonferenz, Hans Zehetmaier aus Bayern und Hans-Joachim Meyer aus Sachsen - haben sich zumindest halböffentlich von ihren früheren Beschlüssen längst distanziert.
Milliarden hat dieser Bankrott der deutschen Rechtschreibung gekostet, sie hat viele Tausende an Arbeitsstunden gefordert, sie hat in mehreren Schüben Berge von Büchern hervorgebracht, die innerhalb von kurzer Zeit überholt waren, und sie hat nie die Unterstützung der Bevölkerung besessen. Sie war das dümmste und überflüssigste Unternehmen in der deutschen Kulturpolitik nach dem Zweiten Weltkrieg: ein gemeingefährlicher Akt.
THOMAS STEINFELD
Die Henning-Kaufmann-Stiftung zur Pflege der Reinheit der deutschen Sprache im Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft vergibt den deutschen Sprachpreis 2001 in Höhe von 15.000 Mark an Professor Dr. Theodor Ickler, Professor für Deutsch als Fremdsprache am Institut für Germanistik der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
Die Stiftung würdigt mit dieser Auszeichnung die vielfältigen und richtungsweisenden Arbeiten eines bedeutenden deutschen Sprachwissenschaftlers, vor allem auf dem Gebiet der Orthographietheorie und Orthographiegeschichte. Mit seiner umfassenden und konstruktiven Kritik an der Rechtschreibreform, insbesondere in seinen Büchern "Die sogenannte Rechtschreibreform - ein Schildbürgerstreich"; "Kritischer Kommentar zur ,Neuregelung der deutschen Rechtschreibung'" und "Regelungsgewalt. Hintergründe der Rechtschreibreform", sowie mit seiner vorbildlichen Aufbereitung und Darstellung der allgemein üblichen Rechtschreibung in seinem "Rechtschreibwörterbuch" habe Theodor Ickler der deutschen Sprachgemeinschaft und ihrer Kultursprache einen großen Dienst erwiesen und den Weg gezeigt, der aus der Krise der deutschen Rechtschreibung herausführen kann. Seine Schriften zur deutschen Orthographie knüpften wie all seine Werke in ihrem Sachverstand, ihrer philologischen Akribie und ihrem wissenschaftlichen Ethos an die guten Traditionen deutscher Sprachwissenschaft an, nicht zuletzt auch darin, daß sie sich durch eine beispielhaft klare, verständliche und geschliffene Wissenschaftssprache auszeichnen.
Die Preisverleihung ist öffentlich und wird am 21. September 2001 um 18 Uhr im Wittumspalais in Weimar stattfinden.
MediendienstAktuell Nr. 2416 vom 20.6.2001
Wenn unsere Kultusminister und Reformer immer wieder vollmundig vom leichteren Lernen nach den neuen Rechtschreibregeln sprechen, dann hört das jeder gern. Das ist kein Wunder, da sich kaum ein "Normalnutzer" mit den Reformregeln intensiv beschäftigt hat. Obwohl bei Lehrern inzwischen der Leidensdruck zunimmt, müssen sie zähneknirschend hinnehmen, was die Reform ihnen und ihren Schülern auftischt. Nach Aussagen von Lehrern haben Schüler, die sich umstellen mußten, zum Teil große Schwierigkeiten. Und nicht nur sie. Mit unguten Gefühlen blickt man in den Schulen auf den August 2005, wenn nach den neuen Regeln benotet werden muß. Fachleute sehen schon jetzt eine Flut von Klagen auf Lehrer zukommen, die dann nur noch nach dem widersprüchlichen Regelwerk zensieren dürfen. Die Hauptaufgabe eines Lehrers wird deshalb künftig darin bestehen, in Dutzenden von Wörterbüchern nachzuschlagen, damit man nichts Falsches anstreicht. Und er wird künftig gezwungen sein, ständig die neuesten Wörterbuchausgaben zu kaufen, worüber sich die Reformer selbst besonders freuen. Wem ist schon bekannt, daß sieben der zwölf Kommisssionsmitglieder, die uns das alles eingebrockt haben, wirtschaftlich mit den Wörterbuchverlagen zusammenarbeiten und daher am Verkauf eines jeden Wörterbuches kräftig mitverdienen?
Es dauert zwar noch eine Weile, aber die Zeit wird alles ans Licht bringen. Darauf können wir uns verlassen. Wahrscheinlich wachen unsere Entscheidungsträger erst dann auf, wenn Deutschland endgültig den Anschluß an den internationalen Bildungsstandard verpaßt hat, vor lauter Nachschlagen in verschiedenen Wörterbüchern. Wer nicht hören will, muß fühlen.
Karin Pfeiffer-Stolz, Düren
Infos von Gegnern der "Rechtschreibreform"