Zitat aus Berliner Zeitung, 14. April 2010:
Erneut wird eine Kolonie verkauft. Seit 1990 sind Erholungsflächen verschwunden, die dreimal so gro� wie der Tierpark sind
Birgitt Eltzel
Die Tulpen haben Knospen, im Hochbeet wachsen Kohlrabi-Pflänzchen, ein Zwerg mit roter Jacke und Kapuze wacht über die Gartendusche. Die Parzelle von Günter Knüppel (65) vermittelt ein friedliches Bild. Doch mit der Idylle könnte es schon bald vorbei sein. Die Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BIMA) hat die Kolonie "Columbia" am Tempelhofer Columbiadamm 9-29 kürzlich verkauft. Der Investor hat die Kündigung angedroht. Dort, wo jetzt noch Lauben hinter Buchsbaumhecken stehen, sollen Häuser mit Eigentumswohnungen entstehen.
Der frühere Handwerker Knüppel beackert seine Scholle seit 35 Jahren. Er ist Vorsitzender der kleinen Kolonie, in der es nur 22 Schrebergärten mit Grö�en zwischen 200 und 400 Quadratmetern gibt. Das Areal grenzt an ein Gewerbegebiet, die dort ansässigen Kleinfirmen haben bereits die Kündigung wegen des Wohnungsbauprojekts. Lange war auf dem Gelände an Wohnen nicht zu denken - in unmittelbarer Nähe des Flughafens Tempelhof war die Lärmbelästigung zu gro�. Jetzt sind die Flugzeuge weg und mit ihnen auch der Lärm. "Und nun wird das Land für Leute interessant, die damit Geld verdienen wollen", sagt Knüppel.
Nicht nur die Kleingärtner vom Columbiadamm erleben so etwas in Berlin. Fast zwei Jahre lang wurde in Wilmersdorf um die Kolonie Württemberg gekämpft - letztlich vergebens. Auf dem alten Gartenland in Kudammnähe sollen Eigentumswohnungen entstehen, der Bauantrag wird in Kürze eingereicht. Auch im Bezirk Tempelhof-Schöneberg gibt es derzeit ärger bei zwei weiteren Kleingartenanlagen - in der Säntis- und der Nuthestra�e in Marienfelde. Beide Gelände waren einst Eisenbahnbesitz und wurden von der Bahn-Landwirtschaft verpachtet. Die Vivico, gegründet zur Vermarktung bahneigener Flächen, inzwischen privatisiert und an den österreichischen Fonds CA Immo verkauft, veräu�erte beide Gartenanlagen an Investoren. Auch diese wollen dort bauen. Doch noch wehren sich die Pächter, einige von ihnen zogen vors Gericht. Auch das Bezirksparlament hat sich eingeschaltet: "Wir kämpfen um jede Kleingartenfläche", sagt der stadtentwicklungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Martin Müller-Follert.
Seit 1990 sind nach Angaben des Verbands Deutscher Grundstücksnutzer (VDGN) in Berlin rund 436 Hektar Kleingartenfläche weggefallen - ein Areal, fast dreimal so gro� wie der Tierpark Berlin in Friedrichsfelde, mit 160 Hektar der grö�te Landschaftstiergarten Europas. "Berlin gehört zu Deutschlands Städten, die den Bestand an Kleingärten dramatisch reduziert haben", schrieb VDGN-Präsident Peter Ohm in einem Offenen Brief an den Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Ohm kritisiert die systematische Vernichtung von Kleingartenland und fordert, daß "sämtliche derzeit noch bestehenden Kleingartenanlagen rechtlich dauerhaft geschützt werden". Er schlie�t sich damit einer schon lange bestehenden Forderung des Verbandes der Gartenfreunde Berlin an, der rund 500 000 Laubenpieper aus der Hauptstadt vertritt.
Eine lapidare Antwort gab's aus dem Haus von Stadtentwicklungssenatorin Ingeborg Junge-Reyer (SPD): "Ich kann Ihnen versichern, daß in Berlin die Kleingärten einen gro�en Stellenwert einnehmen. Es ist erklärtes Ziel des Abgeordnetenhauses und des Senats von Berlin, wo immer es geht, Kleingärten dauerhaft im Stadtgebiet zu sichern." So habe der Senat die Fortschreibung des Kleingartenentwicklungsplanes beschlossen, "mit dem der ganz überwiegende Teil der Berliner Kleingärten dauerhaft gesichert ist", hei�t es in dem Brief.
Rentner Knüppel hilft das nicht. Er will mit den anderen Pächtern um die seit 1961 bestehende Kolonie Columbia kämpfen, ein Protestplakat für den Gartenzaun hat er schon gemalt. "Wir werden klagen", sagt er: "Freiwillig gehen wir hier jedenfalls nicht weg."
In Berlin gibt es laut Stadtentwicklungsverwaltung 934 Kleingartenanlagen mit 74 526 Parzellen (3,5 Prozent der Stadtfläche). Davon sind etwa drei Viertel im Eigentum des Landes. Andere Eigentümer sind der Bund mit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (BIMA), die Vivico, Kirchen und Private. Keine vergleichbare Metropole hat eine so gro�e Anzahl an privat nutzbaren Gärten im Einzugsbereich der Innenstadt. Sie dienen der Klimaverbesserung, der Belüftung der Stadt und der wohnortnahen Erholung.
Ein Kleingartenentwicklungsplan wurde 2004 durch den Senat beschlossen und mit Senatsbeschluß vom 12. Januar 2010 fortgeschrieben. Zusätzlich zu den 2 500 Hektar (82 Prozent) dauerhaft zu erhaltender Kleingartenfläche besteht für 235 Hektar eine Schutzfrist bis zum Jahr 2020 und für 23 Hektar bis zum Jahr 2014. Für die Anlagen Durlach (Wilmersdorf), Hand in Hand (Neukölln) und Grüne Aue (Treptow) läuft die Schutzfrist schon in diesem Jahr aus.
Die Fläche für Schrebergärten in Berlin ist seit 1947 (5 400 Hektar) bis 2009 (3 064) Hektar fast um die Hälfte reduziert worden. Allein zwischen 1990 und 2009 wurden 436 Hektar Gartenland für Bauprojekte genutzt. Hintergrund ist vor allem der Verkauf an Investoren mit einer Umwandlung in Bauland.
Im Mai 2009, unter der CDU/SPD-Koalition, hatte die Bundesregierung auf eine Anfrage der Linken im Bundestag geantwortet, daß der "gesetzlich verankerte wirtschaftliche Verwertungsauftrag" der BIMA "für alle entbehrlichen Immobilien in ihren Bestand" gelte, die Veräu�erung "von kleingärtnerisch genutzten Liegenschaften ist nicht vorgesehen". Ein Dreivierteljahr später erfuhren die Kleingärtner von Columbia, daß ihre Kolonie Wohnhäusern weichen soll.
Der Verband der Gartenfreunde Berlin fordert, alle gegenwärtig in Berlin bestehenden Gärten dauerhaft zu sichern. Präsident Peter Ehrenberg sagt: Weg vom befristeten Schutz. Der Kleingartenentwicklungsplan solle eine neue, rechtsverbindliche Qualität bekommen. Dazu müsse er vom Abgeordnetenhaus als Gesetz oder Verordnung beschlossen werden, nicht nur als Senatsbeschluß zur Kenntnis gegeben werden.
Um Parzellen auf privatem Land zu sichern, müßten laut Ehrenberg die Anlagen mittels Bebauungsplan als Grün gesichert werden. Zuständig dafür sind die zwölf Bezirke. Ist das Land aber schon als Bauland durch frühere Pläne ausgewiesen, müßte dem Eigentümer eine Entschädigung gezahlt werden - Geld, das die Bezirke meist nicht haben.
------------------------------Foto: Inzwischen eine gefährdete Spezies: der Gartenzwerg.
Foto: Seit 35 Jahren beackert Günter Knüppel seine Scholle. Den Pächtern der Kolonie Columbia droht die Kündigung. Die Gärten sollen Wohnhäusern weichen.
Zitat aus Berliner Zeitung, 27. April 2010:
Berlin: "Angriff auf die Gartenzwerge" von B. Eltzel (14. April):
Leider stimmt die Behauptung Frau Junge-Reyers nicht, daß Kleingärten in Berlin einen gro�en Stellenwert haben. Jedenfalls nicht für den Senat. Sonst beschlösse er nicht, bis 2020 rund 20 Prozent einzustampfen. Jedes umstrittene Stra�enbauprojekt, jede günstige Vermarktungsprognose des Liegenschaftsfonds ist dem Senat wichtiger als eine gewachsene Gartenanlage.
André C. Hercher, per E-Mail
Zitat aus Preußische Allgemeine Zeitung, 24. April 2010:
Die Flughäfen Tegel und Tempelhof verschwinden, alte Betriebsgelände stehen leer. Flächen für Investoren hätte Berlin also genug. Warum müssen dann trotzdem so viele Schrebergärten dran glauben?
Grüne Lunge der Stadt, sozialer Treff, Refugium für Familien � wenn Berliner Kleingärtner von ihren Parzellen sprechen, klingt das derzeit, als erfüllten sie eine gesellschaftliche Mission. Grund des Werbens: Der Berliner Kleingarten ist bedroht, glaubt man aktuellen Zahlen. So ging in der ganzen Republik laut Bundesverband Deutscher Gartenfreunde (BDG) zwischen 1997 und 2008 die Zahl der Kleingärten um ein Prozent zurück. Weit dramatischer in Berlin: Hier sind seit 1990 nach Angaben des konkurrierenden Verbands Deutscher Grundstücksnutzer (VDGN) zirka 436 Hektar der grünen Parzellen planiert worden, das entspräche rund 17 Prozent Verlust in 20 Jahren. Fazit: Die Politik der Spreemetropole verdrängt die Anlagen wie in keiner anderen Gro�stadt.
Diese Gro�stadtlage ist das eigentliche Problem. Die Ringautobahn A100, neue Verbindungsstra�en und die Verdichtung von zentralen Flächen mit Wohn- und Geschäftsbauten sind die grö�ten Feinde der noch 934 Anlagen. Hauptärgernis dabei: In den Bezirken gibt es genug Freiflächen, Industriebrachen und Bebauungslücken, doch die Schreber müssen dessen ungeachtet oft ihr Terrain räumen. Der Senat sehe Kleingärten eben nur als Baulandreserve, so der Vorwurf der Laubenpieper, deren Einfluß in der Hauptstadt immerhin die �Laubenpieper-CDU� als ernst zu nehmenden Partei-Flügel entstehen lie�.
Fachleute rechnen pro Parzelle mit 300 Quadratmetern, also sind �Erholungsflächen verschwunden, die dreimal so gro� wie der Tierpark (160 Hektar) sind�, schrieb unlängst die �Berliner Zeitung�. Doch nicht so sehr der Schwund auf derzeit berlinweit 2100 Hektar an sich, sondern Einzelfälle wie das offensichtlich unnötige Aus für die Anlage �Württemberg� in Wilmersdorf erzürnen die Gartenfreunde. Das Areal wurde geräumt, von der angekündigten Investition ist weit und breit nichts zu sehen.
�Die sozialen Strukturen bekommen Sie nie wieder hin�, sagt Peter Ehrenberg, Präsident des Berliner Landesverbandes der Gartenfreunde, dem 70000 Parzellen angeschlossen sind. Trotzdem stimmt er nicht in die Untergangsgesänge ein: �Die Zahl von 436 Hektar ist hypothetisch.� Er spricht von 5000 Parzellen weniger seit 2000, also gut 150 Hektar Verlust (6,7 Prozent). �Die wenigen Anlagen, die keinen Schutz bekommen haben, wollen wir absichern, besonders im innerstädtischen Bereich�, so Ehrenberg.
Tatsächlich haben die meisten Gartenkolonien inzwischen Bestandsschutz. Die Garantien auf Zeit sorgen dafür, daß vielerorts die Lage entspannter ist, als es die Statistik vermuten lie�e. So ist auch der Verband der Kleingärtner, Siedler und Grundstücksnutzer (VKSG) in Prenzlauer Berg kaum erbost über das Ende der dortigen Kolonie �Ostsee�. Das sei Privatsache gewesen. �Wir haben für unsere Kolonien sogar eine Schutzfristverlängerung bis 2020, auch wenn wir damit nicht in jedem Punkt einverstanden sind�, sagt Egid Riedl, Vizepräsident.
Was die neuen Länder insgesamt angeht, räumt man hinter vorgehaltener Hand in Kleingärtner-Organisationen ein, daß mancher Abbau von Anlagen notwendig sei: östlich der Elbe schwinde die Bevölkerung. Die Menschen wanderten den Arbeitsplätzen hinterher, ein überangebot an Parzellen entstehe. In Berlin sei die Lage jedoch anders, hei�t es beim BDG.
�Wir haben unendlich lange Wartelisten�, sagt Peter Ehrenberg. Ob Flughafen Tegel oder Tempelhof (die beide aufgegeben werden), es gebe genug Ausweichflächen für Investoren, doch die in Berlin besonders geringe planungsrechtliche Absicherung vieler Areale beraubt die Kleingärtner rechtlicher Abwehrchancen. Die Nutzung als Kleingarten ist nicht im Bebauungsplan eingetragen. Das wiederum macht das Verdrängen leicht, sei es durch Privateigentümer oder das jeweilige Bezirksamt, mit dem die Verbände der Kleingärtner Zwischenpachtverträge haben. Manche Areale gehören indes dem Bund, der ebenfalls finanzstarke Käufer den Kleinpächtern vorzieht. �Oft zwingen hohe Schadenersatzdrohungen die meist ehrenamtlichen Vereine in die Knie, die gehen schneller als nötig, obwohl es am Ende doch keine Investitionen gibt � das ärgert dann auch die Anwohner�, so Theresia Theobald, Bundesgeschäftsführerin des BDG. Die von Parzellen belegten 3,5 Prozent der Stadtfläche böten keine unerschöpflichen Erschlie�ungschancen. �In Berlin gibt es die Tendenz, zurück in die Stadt zu ziehen, aber die Leute wollen genug Grün in ihrem Kiez � aus Erfahrung wissen wir jedoch: In einmal verdichtete Flächen kommt kein Grün zurück�, sagt die Gartenfreundin.
Ausweichflächen werden nicht oder nur weit drau�en angeboten. Auch die Gärtner sind mitunter kompromißlos: Zentral soll das Grün sein, die teils dichte Vorkriegsbebauung läßt man nicht als Basis der Stadtentwicklung gelten. �Das Früher ist für uns kein Argument mehr�, so Ehrenberg. So wundert es nicht, daß der Senat sich in aktuellen Flächennutzungsplänen nicht auf Kleingärtner als Nutzer bestimmter Gebiete festlegen will � es ist einfacher so. Die von den Schrebern beklagte Spekulationsfreude des SPD-geführten Senats geht ebenfalls weiter: Während Prestigeprojekte vom zuständigen Liegenschaftsfonds teils sehr günstig Grundstücke erhalten, zahlen andere drauf, damit die Entnahmen des Landes aus dem Liegenschaftsfonds üppig genug ausfallen können: Rund 224 Millionen Euro kassierte das Land Berlin 2008.
Sverre Gutschmidt
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